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Nachfolgend dokumentiert ist der Originaltext einer Reportage aus der "ZEIT" vom 28. Februar 2001

 
       

           

 

                       
       

E N T S C H E I D E N

Pettys Revier

Die Geschichte eines Mannes, der Frankreichs Jägern ein Naturschutzgebiet abtrotzt

Von Stefanie Christmann

Wenn er mal nicht arbeitet, schaut Christian Petty gern Actionfilme an, am liebsten die mit Clint Eastwood. Denn im Kino siegt am Ende der Held. Etwas ramponiert zwar, aber er siegt. Dreißig Autominuten nördlich von Montpellier gilt immer noch das Faustrecht. Ein Mann hat eine Knarre und keine Angst, sie einzusetzen. Und ist es nicht auch fürsorglich gedacht, wenn Nachbarn dem 53-jährigen Petty sagen: »Einen schönen Wald hast du. Es wäre doch schade, wenn er abbrennen würde. Gib ihn uns, dann sorgen wir dafür, dass das nicht passiert.«

Petty gegen den jagdbegeisterten Rest der Welt: Den Dorfbewohnern am Rande der Seranne ein Naturschutzgebiet abzutrotzen bedeutet, sich auf Wildwestmethoden einzulassen. Sechzig Prozent der Alteingesessenen sind hier Anhänger der Jägerpartei Chasse Peche Nature Tradition, die bei den Europawahlen sieben Prozent der französischen Sitze errang. Frankreich hat in Europa die meisten Jäger: 1998 waren es - offiziell - 1,5 Millionen. Jedes Jahr werden 40 bis 60 Menschen auf der Pirsch irrtümlich erschossen.

Natur? Sie dient der Jagd. Basta. Während Jürgen Trittin in Deutschland mit großer Zustimmung das Naturschutzgesetz novelliert, um einen Biotopverbund zu schaffen, halten echte Männer in den einsamen Bergzügen der Cevennen und der Seranne ganzjährig auf alles an: auch auf Amseln, Rotkehlchen und Steinadler. Man nagelt linke Vorderpfoten von Wildschweinen eine neben die andere an die Wand oder aufs Tor; das verheißt Glück und Reichtum. Die Landwirtschaft, die früher auf Schafzucht basierte, produziert heute neben Kühen vor allem Fasane und »Wild«-Schweine. Haben sie genug Fleisch auf den Knochen, werden die Tiere von Hunden zu den Jägern getrieben. Die stehen wie festgenagelt auf der Anhöhe und halten bloß noch drauf.

Mitten in dieser Jagdhochburg liegt der Ranquas, eine knapp 600 Meter hoch gelegene wilde Ebene mit grandiosem Blick aufs Gebirge. In die engen Felsschluchten zogen sich einst die letzten Wölfe zurück. Sie hielten die Menschen aus dem Gelände fern, sodass viele Arten überlebten. Erst als 1924 der letzte Wolf geschossen war, kamen die Köhler. 1940 war das Hochplateau kahl. Noch heute sind die Flächen schwarz, wo ihre Meiler standen. Eichelhäher aber vergessen oft die Verstecke ihrer Wintervorräte und setzten so auf dem Ranquas neue Bäume. Die Natur erholte sich, und zwischen den unzugänglichen Wolfsfelsen wachsen noch immer vereinzelt Elsbeeren, Speierlinge, Schlehen, Kornelkirschen; außerdem große Sägeschrecken, Türkenbundlilien und Schlitzblättriger Rittersporn. 420 000 Franc bezahlte Christian Petty 1992 für den knapp 200 Hektar großen Ranquas, der damals schon Réserve de Chasse Approuvé war; ganz privat. Den Jagdschutz erneuert er nicht nur alle sechs Jahre, sondern kämpft um die Anerkennung als Reserve Naturelle Volontaire: Damit wäre das artenreiche Landschaftsfiletstück auf alle Zeiten dem Zugriff der Jäger entzogen. Die schauen - was willst du hier, Fremder - nicht untätig zu. Aber der strubbelige Agroforrestier in alten Zimmermannshosen, der von einem kleinen Vermögen und einer kleinen Sprachschule höchst bescheiden lebt, ist ein erprobter Einzelkämpfer: Als junger Mann wurde der Spross einer Margarinedynastie als angeblicher Kommunist enterbt - weil er einen Bart trug. Die Rolle »Clint Eastwood« hat der Absolvent eines vornehmen Internats von der Pike auf gelernt.

Die Zäune zerstört, Schafe zu Tode gehetzt

Sabotage: Für jedes Dach, jeden Unterstand muss Petty einen Bauantrag stellen - doch bei der Bürgermeisterin, die für ihre Wiederwahl die Stimmen der Jäger braucht, geht jedes Papier auf magische Weise verloren. Der neue Häcksler wurde in Brand gesteckt, ein Reifen durchstochen, ein Steinadlerjunges erschossen. Zäune wurden zerstört, die verstreut deponierten Wasserfässer gegen Waldbrände angebohrt, Schafe zu Tode gehetzt. Den Bock köpften Pettys Widersacher und steckten das stolze, hornbewehrte Haupt auf den Pfahl am Eingang zum Ranquas. Die paar Wildschweine des Naturschutzgebiets lassen die Jäger täglich direkt am Zaun mit viel Mais füttern, auf dass sie sich gut vermehren und durch die Zäune gehen. Diese Löcher nutzen dann die Kühe des Nachbarn Silvain Senet in umgekehrter Richtung, zertrampeln die Planen der Teiche, weiden die Baumschule ab und lassen sich die nach Marzipan duftenden Orchideen munden.

1998 löste Petty seine Lebensversicherung auf, um gegen Senet zu klagen. Jetzt muss nicht mehr der Naturschützer, sondern der Bauer für einen haltbaren Zaun sorgen. Aber damit das dann auch geschieht, wird der Geschädigte wohl wieder klagen müssen - auf eigene Kosten. In Frankreich zahlt auch der Gewinner seine Anwalts- und Gerichtskosten selbst. Auf ein Neues: Eine Hochspannungsleitung sollte ausgerechnet über den Schafskorral führen, und die Masten sollten just dort einbetoniert werden, wo seltenes Wanzenknabenkraut stand. Beides konnte Petty abwenden - vor Gericht. Kurz vor der Brutzeit des Steinadlerpaars und der Rötelfalken legten Senet und seine Freunde einen Spazierpfad durch den Ranquas an, ein paar Meter über dem Horst in der Steinwand. In einem Großeinsatz verbaute Petty gerade noch rechtzeitig den Weg. Seit vier Jahren ist der aus Süddeutschland stammende Naturschützer vor allem mit Reparaturarbeiten beschäftigt. Rund 170 000 Mark haben sie ihn schon gekostet. Petty ist ausgepowert - aber stur.

Dabei wäre er auch ohne den Kampf gegen die Jäger rund um die Uhr damit beschäftigt, die seltenen Arten zu verteidigen. Wildschweine fressen frisch geborene Lämmer. Schafe sind aber wichtig: Sie halten den Buchsbaum klein, sodass Steinadler, Rötelfalke und Alpenkrähe bei der Jagd auf Kaninchen freie Sicht haben.

Also muss eine wildschweinsichere Geburtszone für Schafe gebaut werden. Denn andererseits sind auch Wildschweine wichtig: Nur wo sie die Grasfläche aufreißen, nistet sich der Samen von Orchideen, Rittersporn und Türkenbundlilien ein. Für das Wiedererstarken von Hirschkäfern, Marmormolchen und anderem Getier muss Petty zuerst Schutzräume bauen. Das ist eine von vielen Strategien, um die Biodiversität im Ranquas auszubauen. Am größten wird sie um das Jahr 2130 sein, wenn man von einem 400-jährigen Wald-Lebens-Zyklus ausgeht.

»Durchhalten« ist Christian Pettys Devise: die letzten privaten Geldreserven und Spenden (ranquas@seranne.de) mobilisieren, in Paris und Brüssel immer weiter bohren, bis der französische Staat den Ranquas als Geschenk annimmt, ihn unter seinen Schutz stellt und die Jäger den Kampf endgültig verloren haben.

Wie ein Spartaner lebt er als wandelnder Brandschutz. Es reichen ein offener Unterstand mit einer schmalen Matratze, ein Schlafsack und im Winter bei 10 Grad minus ein flauschiger Bordercollie auf jeder Seite zum Wärmen. Im Dach wohnt Fridolin, eine Fledermaus. In der Küchenbaracke, in der es noch Reis und ein paar gekochte Kartoffeln vom Vortag gibt, staken zwei angefressene Äpfel an der Decke. »Für Rosa und Karl. Das Siebenschläferpaar.«

Abends, auf dem Rückweg ins Dorf, stehen die Jäger immer noch mit ihren Pumpguns auf der Anhöhe, der erste direkt am Tor zum Ranquas. Trotzdem kein Showdown. Stattdessen hat Petty eine neue, subversive Zukunftsstrategie: Mit einigen Lehrern legt er Teiche für Schüler an, für die Kinder der Jäger. Denn: »Zwei Drittel aller Naturschützer haben als Kinder an Teichen gespielt.«

 

© DIE ZEIT 10/2001

       

     

 

       

Text:  © Die Zeit 2001  -  Autorin: Stefanie Christmann



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